Die Bauhütte an St. Stephani
Die größte Renovierung seit 100 Jahren
Als ich vor fünf Jahren, 2003, St. Stephani das erste mal besuchte, um zu entscheiden, ob diese Stelle etwas für mich sei, führte mich der damalige Propst Heinz Fischer in die dunkle Kirche, nahm rechts vom Eingang die Taschenlampe führte mich mit ihrem Schein zum Hauptschalter und ließ dann erst die Kirche erstrahlen. Aus Sicherheitsgründen musste mit dem Hauptschalter die gesamte Stromversorgung mit maroden Kabeln in der Kirche ausgeschaltet werden, sobald die Kirche verlassen wurde.
Aber auch, wer von außen auf die Kirche zukam, erblickte scheinbar ein anderes Gotteshaus. Vom Papenberg kommend sah man den unteren Teil der Kirche nicht, da die Hecke den Blick versperrte, zur linken Hand bot die sogenannte Böckelsche Grabkapelle ein trauriges Bild, um die Kirche herum standen abgewirtschaftete Laternen, und St. Stephani selbst bröckelte nicht nur aus den Fugen, sondern auch dem Dach sah man das Alter an. Einige der Kreuzblumen waren schon abgenommen, damit sie nicht bei einem heftigeren Windstoß herabstürzen würden.
Aber bereits ein Jahr später, hatte sich manches geändert. Zuerst konnte die Restaurierung der Grabkapelle durch Spenden zum 80. Geburtstag von Herrn Kieschke umgesetzt werden.
Für den Innenraum änderte sich aber noch mehr, da mit den notwendigen Elektroarbeiten und der Neuverlegung von vielen Kilometern neuer Kabel in der Kirche war gleichzeitig die neue Beleuchtung realisiert worden, die der Höhe und Leichtigkeit des gotischen Raumes Rechnung trug.
Schwieriger wurde es nun allerdings die Arbeiten am eigentlichen Kirchenbau zu beginnen. Zwar verschwand 2005 auf Initiative des Küsters Waldemar Reisich die Hecke und bot nun wieder den wunderschönen freien Blick auf die Kirche, verbunden mit der Möglichkeit, die Rasenfläche auch einmal zu nutzen. Aber der Beginn der Restaurierungsarbeiten verzögerte sich.
Es gab nämlich keine verlässlichen Unterlagen über die Wandfläche, die zu restaurieren war und wie viele Fugen neu zu verputzen seien. Der Bauzeichner der Landeskirche konnte uns nicht helfen, da er wegen der Anforderungen, die das Finanzamt stellte, ständig dabei war, Pfarrwohnungen aufzunehmen.
So griff das Bauamt der Landeskirche, das die Restaurierung in den Personen von Herrn Müller, Herrn Schuhseil und vor allen Dingen Herrn Bothe über die Zeit so hervorragend begleitete - auf eine neue Methode zurück. Die Messdienststelle aus Dresden machte ein photogrammetrisches Aufmass. Dabei wurden Messpunkte innen und außen gesetzt und das gesamte Gebäude fotografiert. Anhand der Messpunkte konnte dann der Computer die Fotografien entzerren und ein echtes Abbild unserer Außenwand und des Dachstuhles erstellen.
Nun hatten wir zum ersten mal vernünftige Daten vorliegen, mit denen eine Ausschreibung der Arbeiten möglich war. Kurz vor Weihnachten wurde die Dringlichkeit der Arbeiten deutlich, als der Sturm Ziegel vom Dachfirst losriss. Einige Tage waren wir in Sorge, dass wir zum Heilig Abend Gottesdienst nicht alle Portale sicher benutzen könnten, glücklicherweise aber konnte noch rechtzeitig der Schaden behoben werden und die schon gelockerten Ziegel so stabilisiert werden, dass keine akute Gefahr mehr drohte. Die Notwendigkeit, das abgängige Dach zu erneuern aber war deutlich geworden.
2006 begann dann endlich die größte Außenrenovierung seit 100 Jahren. Propst Heinz Fischer, der sich unermüdlich dafür eingesetzt hatte, erlebte den Start schon aus der Ferne, im Ruhestand. Da über mehrere Jahre Geld angespart worden war, konnten in dieser Bauphase drei Bereiche angegangen werden. Zum einen wurde ein Blitzschutz gelegt. Rund um die Kirche wurde ein Graben geöffnet, in den ein Ring gelegt wurde, der den Blitz vom Dach in die Erde leitet. Zum zweiten wurde das Dach erneuert. Den für unsere Region typischen Linkskremper stellen allerdings nur noch zwei Firmen in der Bundesrepublik her. Auf dem Dach fanden wir auch Ziegel, die bereits ein Alter von 150 Jahren aufweisen konnten. Immer wieder wurde früher wohl mit dem bestehenden Material ausgebessert. Das riesige Dach wurde erneuert. Eine unvorhergesehene Schwierigkeit boten dabei die Gauben. Zunächst wurden auch sie mit Ziegeln gedeckt, dies wirkte allerdings merkwürdig, da die Ziegelreihen bei den jeweiligen Gauben sehr unterschiedlich lagen und zudem die Ziegel links und rechts unterschiedlich überstanden. Schließlich wurde das Problem umgangen, indem die Gauben mit Kupfer gedeckt wurden. Die Arbeiten führte Firma Angerstein aus.
Den dritten Bereich übernahmen die Steinmetze der Werkstätten für Denkmalpflege GmbH, Quedlinburg. Das Westwerk wurde komplett gesäubert, und neu verfugt. Die Säuberung fand sehr vorsichtig statt. Man konnte in den Steinen noch die tiefen Rillen sehen, die vor 100 Jahren die Säuberung wohl mit Drahtbürsten hervorgerufen hatten. Nun wurde fast nur Wasser und gegebenenfalls eine leichte Lauge verwendet.
Die Betonfugen wurden, so weit sie noch in Ordnung waren, belassen, um nicht den Stein noch mehr zu schädigen, als dies ohnehin durch die zu feste Betonfuge schon geschehen war. Nun wurde wieder Kalk verwendet. Selbstverständlich mussten in diesem Zusammenhang auch etliche Steinvierungen ersetzt werden. Auch die Schalluken wurden überarbeitet, ebenso die Gauben im Westwerk, die nun wieder gut zu öffnen sind und einen schönen Blick über die Stadt eröffnen. Ein besonderes Problem ergab sich durch das Auswandern eines Steines in etwa halber Höhe an der Südkante des Westwerkes. Dieser Stein musste verankert werden, was wegen des Aufbaues der Kirchenmauer natürlich nicht ganz einfach war. Da Kirchenmauern in der Regel aus einer äußeren und einer inneren Schale gebaut sind, die mit Restmaterialien verfüllt wurden, macht es wenig Sinn einen Anker zwischen den Mauern zu legen und dann in den Zwischenraum Bindemasse (z.B. Beton) einzuspritzen, da diese nicht am Ort bliebe sondern wegliefe. Daher wurde der Anker in eine Art Hülle oder Strumpf gesetzt, damit das Bindemittel sich in Ruhe am richtigen Ort verfestigen konnte.
Natürlich wurden auch an anderen Details die derzeit modernsten Methoden und sinnvollsten Baustoffe eingesetzt. So ist bei der Aufarbeitung der Steinkreuze auf dem Giebel des Westwerkes selbstverständlich Edelstahl als Befestigung genutzt worden.
Unerwarteter Weise konnten die Bauarbeiten wegen des milden Klimas bis kurz vor Weihnachten und weil noch Gelder vorhanden waren auch auf die Nordseite der Kirche ausgedehnt werden. Bei der Säuberung und der Neuverfugung wurde wie beim Westwerk gearbeitet. Nur die Kreuzblumen stellen eine neue Aufgabe dar.
Das Dach hatte bereits in den ersten Monaten 2007 seine neue Aufgabe zu bestehen. Der heftige Sturm, der uns vor der Renovierung das halbe Dach abgerissen hätte, führte nur dazu, dass wenige Ziegel verrutschten.
Im April 2007 konnte dann die zweite Bauphase beginnen. Es ging um den Hohen Chor, auch hier waren wieder Dach und Mauerwerk zu erneuern. Schwierig war vor allen Dingen die Stellung des Gerüstes, von dem aus gedeckt werden musste. Dachdecker, die auch Schiefer decken, gibt es nicht in der näheren Umgebung, daher wird Firma Hense aus Goslar beauftragt. Wie auch das alte Dach bekam das neue unterschiedlich geformte Schiefern, so dass das Dach seine unterbewusst wahrgenommene Lebendigkeit behält. Außerdem wurden die Dachbekrönungen, die allesamt schon als Zielscheiben für Gewehrkugeln gedient hatten, erneuert.
Die Reinigung und Neuverfugung, ebenso wie die Erneuerung bzw. Neuinstallation der Kreuzblumen entsprachen den Arbeiten des vorangegangenen Jahres, aber auch die Epitaphien wurden nun mit Edelstahl neu verankert.
Leider mussten wir feststellen, dass die Außenwand eines Teiles des Hohen Chores einen Zentimeter weit nach außen gewandert war. Unklar aber ist, seit wann. Ist dieser Zentimeter seit 700 Jahren gewandert, oder erst, seitdem die Straße um die Kirche herumführt? Wissenschaftler der TU-Braunschweig sind eingeschaltet, die mit einer komplizierten Messtechnik beobachten sollen, ob sich die Wand weiter bewegt. Ergebnisse werden noch erwartet.
Das Jahr 2008 brachte die Vollendung der Außenrenovierung. Die Fassade der Südseite wurde in gleicher Weise wie die anderen Mauerteile gesäubert und neuverfugt, wo nötig wurden Steinvierungen ergänzt, und die zum Teil erneuerten Kreuzblumen wurden ebenso wie die Epitaphien mit Edelstahl gesichert.
Als kleiner Besonderheit aber widmeten wir uns den beiden Sonnenuhren, deren Überreste gerade noch so an zwei Stellen der Südwand zu erkennen waren. Natürlich gehörten sie zu den unwichtigsten Stücken dieser Renovierung, sowohl finanziell als auch in ihrer Bedeutung. Und doch bieten sie einen Reiz. Denn St. Stephani als frühgotische Kirche bietet ja wenig Außenverzierungen. Kirchen der Hoch- oder Spätgotik sehen ganz anders aus: meisterhafte Steinarbeiten an Portalen und Türmen, sogar an Strebepfeilern rund um die Kirche schmücken solche Kirchen. St. Stephani aber hat außen nur die Kreuzblumen, die Darstellung des Christus über dem Portal am Papenberg und des Stephanus am Großen Kirchhof und natürlich das Relief der Verkündigung an Maria im Westwerk. Darum wollten wir diesen kleinen Schmuck der Sonnenuhren wieder so aufleben lassen, wie es möglich war. Allerdings fehlte uns ein historisch gesicherter Befund von Zahlen, so dass wir für uns für eine deutliche moderne Form entschieden haben. Zum Gemeindefest am 31. August 2008 werden die Sonnenuhren enthüllt.
Einen Blick über die Außenrenovierung hinaus wirft die Restaurierung unseres ersten Fensters. Es handelte sich um das Bild mit der Anbetung Christi durch Bauer und Bergmann, das 1904 von Familie Döring zum Andenken an Theodor Döring gestiftet worden war. Bereits 2006 hatte Professor Strobl von der Fachhochschule Erfurt ein Gutachten über unsere Fenster erstellt. Darin heißt es: „Die Solbank weist neben großflächiger Schalenbildung auch eine offene Fuge im Bereich der mittleren Fensterbahn auf. Die Pfostenansätze mit Absandungen, Ausblühungen und Teilverlusten können die Statik des Fensters nachteilig beeinträchtigen.“
Da wir außerdem das komplizierte Gerüst über dem Heizungsanbau sowieso wegen der Fassadenrenovierung stehen hatten, sollte in diesem Zuge die Restaurierung des Fensters von statten gehen. Bei einem Ortstermin fiel der Entschluss, die Fenster auszubauen. Denn die vorsichtige Reinigung und der kunstgerechte Ersatz von Stücken war nur in der Werkstatt möglich. In den Räumen der Firma Schneemelcher in Quedlinburg, die sozusagen in der Nachfolge der Glasmalerei Müller steht, welche die Fenster vor gut 100 Jahren anfertigte, konnten die Schäden gut besichtigt werden. Besonders bei früheren Ausbesserungen – wahrscheinlich von der Leiter aus – waren Bleie nicht ordentlich verstrichen worden oder Glasstücke einfach nur über Löcher geklebt worden. Da die alten Windeisen, die den Fenstern Stabilität geben sollen, schon lange verrostet waren, wurden sie Wiedereinbau des Fensters in die Kirche durch neue aus Edelstahl ersetzt. Der Eindruck des Fensters von außen veränderte sich besonders durch die Art des Gitters, das zum Schutz vor Zerstörung angebracht ist. Der Unterschied der neuen Gitter, die in jedes einzelne Fensterfeld eingesetzt wurden zu dem Gitter, das als ein Stück vor das gesamte Fenster gesetzt wurde ist im Vergleich mit den noch nicht restaurierten Fenstern deutlich zu sehen. Diese in England oft zu sehende Art und Weise lässt das Maßwerk des Fensters ganz anders hervortreten.
Mit den Fenstern rückt das Thema Innenrenovierung nun in den Blick. In den nächsten Monaten wird der Kirchenvorstand diskutieren müssen, wie der Kirchenraum gestaltet werden wird. Soll die Kirche in der historistischen Form, wie sie 1904-1906 restauriert wurde, bleiben und erneuert werden bzw. mit den Änderungen aus 1962 und den Folgejahren? Oder sollen die Forderungen von Rudolf Kleinert wieder aufgenommen werden, z.B. einen Natursteinfußboden zu verlegen und das Epitaph von Professor Homburg am nördlichen Choreckpfeiler zu versetzen? (Rudolf Kleinert, St. Stephani-Kirche zu Helmstedt, 1. Auflage 1965 S. 38, Nachruck der 3. Auflage 1997, S. 36). Oder soll das Innere modern gestaltet werden?
Der Dank gilt aber schon jetzt den vielen Organisationen und Menschen, die die Renovierung bis hier her ermöglicht haben und weiterhin ermöglichen werden.
Daniel Maibom-Glebe
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Text über die Renovierung als PDF
Alt_Helmstedt.pdf
zuerst in Altstadt-Kurier 2008, 13. Jahrgang, Heft 2 erschienen, dort mit Bildern.
Die einzelnen Bauabschnitte
- 2000-2003: Taufbecken, Calixtepitaph u.m.
- 2004: Neue Beleuchtung
- 2005: Photogrammetrische Aufnahmen
- 2006_1: Renovierung des Daches
- 2006_2: Renovierung des Westwerkes
- 2007: Renovierung des Hohen Chores
- 2008_1: Renovierung der Südseite
- 2008_2: Sonnenuhren
- 2008_3: 1. Fenster (Bauer und Bergmann unter dem Kreuz)
- 2009_1: Aufarbeitung der Türen
- 2009_2: 2. + 3. Fenster (Lichtfenster)
- 2009_3: Verkündigung an Maria
- 2009_4: Probereinigung
- 2010: 4. + 5. Fenster (Stephanus)
- 2011: 6. + 7. Fenster (Lichtfenster)
- 2012: 7. + 8. Fenster (Universitätsgründung und Luther in Worms)
- 2013: 9. + 10. Fenster (Weihnachtsfenster)
- 2014: 11. + 12. Fenster (Reformation Helmstedts durch Bugenhagen)